Aktuelle Notiz: Mein Konflikt mit Oskar Lafontaine

von Petra Pau
Berlin, 5. Juli 2005

1. 

„PDS-Politikerin Pau kritisiert Lafontaine“, titelte der „Spiegel“. Andere Medien zogen nach. „Da haben wir einen Konflikt“, habe ich gesagt, nachdem Oskar Lafontaine auf einer Kundgebung in Chemnitz geredet und gemeint hatte: „Der Staat ist verpflichtet, seine Bürger und Bürgerinnen zu schützen, er ist verpflichtet, zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“

2. 

Natürlich ist der Staat, jedenfalls ein Sozialstaat, verpflichtet „seine“ Bürgerinnen und Bürger vor Armut, Elend und Ausbeutung zu schützen. Das ist für Linke ein Gemeinplatz. Aber warum lenkte Oskar Lafontaine die berechtigten Sorgen in Sachsen ausgerechnet auf so genannte „Fremdarbeiter“, die „Familienvätern und Frauen“ zu „niedrigen Löhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“? Sind es wirklich die „Fremdarbeiter“, die Schuld sind, und was sind eigentlich „Fremdarbeiter“?

3. 

Am 3. Juli 2005 tagte in Kassel der WASG-Parteitag. Oskar Lafontaine hielt die Eingangsrede. Er griff Unternehmer an, die ausländische Arbeitskräfte ausbeuten. Zu Recht. Er nahm ausländische Arbeiter in Schutz, die in Container gepfercht zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen. Er verwies auf Internet-Seiten der SPD, auf denen noch vor kurzem über „Fremdarbeiter“ fabulierte wurde. Und er forderte Kritiker auf, ihm endlich ein „Göbbels-Zitat“ zu liefern, das seine „Fremdarbeiter“-Replik diskreditieren könne.

4. 

Dieselbe Argumentation nutzte Oskar Lafontaine tags darauf auf einer Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus, der PDS-Zentrale, und noch einmal am 5. Juli bei einem Interview im Info-Radio Berlin Brandenburg. Im „Brockhaus“, meinte der Rundfunkmann, werde das Wort Fremdarbeiter auf die NS-Zeit zurückgeführt. Da irre der Autor des Lexikons, gab Oskar Lafontaine zurück. Denn er habe in seinem Duden nachgeschlagen und da stehe so was nicht drin - Punkt.

5. 

Eine kurze Internet-Recherche belegt indes: Das Wort „Fremdarbeiter“ geht unter anderem auf einen Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 14. Januar 1941 zurück. Demnach war zwischen „Arbeitnehmern germanischer Abstammung“ und „fremdvölkischen Arbeitnehmern“ zu unterscheiden. Zur ersten Kategorie gehörten Niederländer, Dänen, Norweger und Flamen, zur zweiten u. a. Franzosen, Wallonen, Tschechen, Polen. Natürlich galten auch Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion sowie Jüdinnen und Juden als „Fremdarbeiter“.

6. 

In den 60er Jahren wurde in der Bundesrepublik Deutschland offiziell der Begriff „Gastarbeiter“ geprägt. Damals wurden Arbeitskräfte aus zahlreichen europäischen Staaten angeworben. Sie sollten die Räder der deutschen Industrie am Laufen halten, nachdem der Arbeitskräfte-Zustrom aus dem deutschen Osten ausblieb. Sie waren offiziell willkommen, jedenfalls solange, bis der einheimische Arbeitskräftemangel überwunden wäre. Dann sollte das Gast-Intermezzo wieder beendet werden. Zugleich blieb der Begriff „Fremdarbeiter“ im allgemeinen Sprachgebrauch weit verbreitet.

7. 

Aber egal aus welcher Zeit das Wort „Fremdarbeiter“ geschöpft wird, ich finde: Er suggeriert immer Fremdes, Hierarchien, Gefahr. Deshalb ist es seit Jahren verpönt. Es wird nicht nur von Linken abgelehnt. Es ist auch mit dem PDS-Programm nicht vereinbar. Der Stempel „Fremdarbeiter“ ist inhuman, er schürt Ängste und er bedient rechte Klischees. Trotzdem beharrt Oskar Lafontaine auf dem Begriff. Er verteidigt ihn und sich. Und er erklärt zugleich: „Ich habe das Programm der PDS gelesen und kann jeden Satz unterschreiben.“, Gesetzt den Fall das stimmt, dann gibt es noch einen Konflikt - diesmal zwischen Oskar und Lafontaine.

8. 

Das betrifft übrigens noch weitere Passagen seiner jüngsten Reden. Auf dem WASG-Parteitag in Kassel wiederholte er „als deutscher Vater“ seine Forderung, polizeiliche Ermittlungen notfalls auch per Folter zu vollenden. Im Programm der PDS heißt es unter III. - 2.: „Der PDS geht es um die strikte Einhaltung... der Menschenrechte.“ Die wiederum wurden am 10. 12. 1948 durch die UNO verbindlich beschrieben. In Artikel 5 heißt es: „Niemand darf der Folter... unterworfen werden.“ Und Artikel 11 (1) regelt: „Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht ... gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

9. 

Oskar Lafontaine wies in Kassel alle Vorwürfe zu seinem Folterzuspruch zurück. Von Parteien, sagte er, wie der SPD und den Grünen, die völkerrechtswidrige Kriege führen, lasse er sich nicht kritisieren. Richtig: In Kriegen wird massenhaft gefoltert, Kriege sind Folter. Aber mein Maßstab sind nicht die Grünen oder die SPD. Auch sie haben gegen „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und damit gegen Rechte von Menschen verstoßen. Und diese sind das Maß für eine linke Partei, allemal für eine die sich per Programm und in der Praxis als moderne, sozialistische Bürgerrechtspartei versteht. Die PDS tut es jedenfalls, ich auch. Also habe ich mit Oskar Lafontaine einen anhaltenden Konflikt.

10. 

Dieser Tage bekam ich viel Post, speziell auch zu den Äußerungen Lafontaines und meiner Haltung dazu. Zwei Positionen sollen stellvertretend für weitere diese „Aktuelle Notiz“ beschließen. Die erste kritisierte die „Fremdarbeiter“-Passage sowie weitere Aussagen von Oskar Lafontaine und dass sich die PDS-Spitze davon nicht vernehmbar distanziere. Der Brief endet: „Aus Sicht einer Flüchtlingsorganisation stellt sich die Frage, ob eine WASG oder PDS überhaupt noch wählbar ist.“ Die zweite griff mich und meine Kritik an: „Wir werden nicht - wie beabsichtigt - das Parteienbündnis wählen, sondern jetzt aus Protest lieber eine National denkende Partei mit Ehrgefühl für die Deutschen...“
 

 

 

5.7.2005
www.petra-pau.de

 

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