Das Geheime löst nichts, es schadet der Verfassung

Bundestag, 3. Juli 2015 Debatte zum neuen Verfassungsschutzgesetz
Rede von Petra Pau

1. 

Ich beobachte derzeit zwei widerstreitende Entwicklungen.
 
Die erste: Auch die deutschen Geheimdienste sind zunehmend diskreditiert; sie haben sich durch ihr Agieren selbst de-legitimiert.
 
Die Ämter für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem NSU-Nazi-Mord-Desaster, sie agierten im Zentrum des Staatsversagens.
 
Der Bundesnachrichtendienst steht im Bunde mit den globalen und unsäglichen Spähattacken der NSA. Das ist genauso inakzeptabel.
 
Die zweite Entwicklung: Trotzdem schaltet die Bundesregierung auf Offensive und will beide Geheimdienste weiter ausbauen.
 
Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Carsten Heye meinte in diesem Zusammenhang einmal: „Versager rüstet man nicht auf!&“
DIE LINKE findet: Er hat Recht!

2. 

Zwischen dem NSU-Desaster und den anhaltenden NSA-Attacken gibt es noch eine weitere Parallele.
 
Beide Male hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bedingungs- und lückenlose Aufklärung versprochen.
 
Sie steuert längst auf einen Meineid zu.
Denn von Aufklärung kann keine Rede sein. Im Gegenteil!
 
Untersuchungsausschüsse im Bund und in Landesparlamenten werden systematisch hingehalten, ausgebremst und ausgetrickst.
Deshalb sollte hier auch niemand das Wort „Vertrauen“ strapazieren!

3. 

Wir entscheiden heute über ein Gesetz, es betrifft das Bundesamt für Verfassungsschutz und sein Verhältnis zu den Landesämtern.
 
Innenminister Thomas de Mazière hat es als logische Folge aus den NSU-Untersuchungen bezeichnet. Das sei man den NSU-Opfern schuldig.
 
Im Innenausschuss haben wir zu dem Gesetz Sachverständige angehört.
Ich zitiere aus der Stellungnahme von Sebastian Scharmer.
Er vertritt als Anwalt zudem beim Münchener NSU-Prozess Opfer der Terrorbande bzw. Angehörige der Opfer. Er sagte ausdrücklich:
 
Weder die Familie Kubasik noch weitere Hinterbliebene von Mordopfern tragen dieses Gesetz auch nur ansatzweise mit.
 
Zitat: „Vielmehr besteht eine nachvollziehbare Empörung darüber, dass nun auf ihrem Rücken und mit dem Leid, was sie gerade auch durch staatliche Behörden über Jahre hinweg erfahren mussten, in gesetzlicher und finanzieller Hinsicht eine der größten Machterweiterungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz begründet werden soll...“ (Zitat-Ende)
 
Ich finde diese Empörung verständlich.
Denn der Verweis auf angebliche Erwartungen der NSU-Opfer und Hinterbliebenen war einfach kaltherzig und ungezogen.

4. 

Knapp zusammengefasst zielt das Gesetz auf drei Änderungen.
 
Erstens sollen die Kompetenzen und die Ausstattung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausgeweitet werden.
 
Zweitens soll die Werbung und Führung so genannter Vertrauens-Leute, kurz V-Leute, klarer geregelt werden.
 
Drittens sollen die Befugnisse des BfV zur Sammlung, Verknüpfung und Verarbeitung persönlicher Daten erhöht werden.
 
Das alles wird verbunden mit zusätzlich 17 Millionen Euro jährlich und 260 neuen Planstellen im Bundesamt.
 
Namens der Fraktion DIE LINKE sage ich ihnen:
Keine der vorgeschlagenen Änderungen ist eine logische Konsequenz aus dem NSU-Desaster.
Und keine behebt wirklich Defizite, die zum NSU-Desaster geführt hatten.
 
Wir werden das Gesetz also auch in der Sache ablehnen.

5. 

Ich will ihnen unser Nein an zwei Beispielen illustrieren.
 
Beispiel 1: die V-Leute Praxis
 
V-Leute sind gekaufte Spitzel und bezahlte Täter, im NSU-Fall verbohrte Nazis mit all ihrer Menschenverachtung.
 
Rund um das NSU-Nazi-Netzwerk waren übrigens rund 40 V-Leute verschiedener Sicherheitsbehörden aktiv. Mit welchem Erfolg?
 
Weder das Leben der NSU-Opfer, noch die Verfassung wurden geschützt.
Stattdessen wurden V-Leute, also Nazis, vor Ermittlungen geschützt.
 
Über üppige Honorare und Sachleistungen für V-Leute wurden Nazi-Netzwerke obendrein gestärkt und ausgebaut.
 
Daran ändert auch das vorliegende Gesetz nichts. Es regelt bestenfalls Schwarz auf Weiß, was bislang im Grauen geschah.
 
DIE LINKE fordert eine andere Konsequenz, eine wirkliche:
Das V-Leute-Unwesen der Sicherheitsbehörden ist sofort zu beenden!
 
Beispiel 2: der Informations- und Datenfluss:
 
Alle Informationen der Ämter für Verfassungsschutz sollen verlässlicher ausgetauscht und letztlich beim Bundesamt für Verfassungsschutz gebündelt werden. So verheißt es der vorliegende Gesetzentwurf:
 
Das klingt harmlos bis vernünftig. Ist es aber nicht. Zurück zum NSU-Desaster: Der Verfassungsschutz hatte sehr wohl Erkenntnisse über den Verbleib und über Vorhaben des NSU-Trios.
 
Sie wurden auch innerhalb des Verfassungsschutzes ausgetauscht.
Den Fahndern der Kriminalämter indes wurden sie verheimlicht.
Weil der Schutz der V-Leute mehr zählt, als die Fahndung nach Mördern.
 
Ändert das Gesetz etwas an diesem Prinzip?
Nein! Das Alte wird als Neues verkauft. Man nennt das Täuschung.
 
Das Geheime wird geschützt, nicht die Verfassung. Deshalb bleibt DIE LINKE dabei: Der Verfassungsschutz ist als Geheimdienst aufzulösen!

6. 

Nun habe ich mehrfach unser Nein begründet. Gibt es auch Alternativen?
Die Regierung sagt wie immer Nein! Die Opposition natürlich Ja.
Die Opposition ist meist klüger.
 
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag, das Regierungsgesetz zurück zu ziehen. Dem stimmt DIE LINKE zu.
 
Bündnis 90/Die Grünen listen zudem detailliert auf, warum der Regierungsentwurf am Problem vorbei geht. Auch das teile ich.
 
Ich will dennoch auf das Grundsatzproblem zurückkommen und damit zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE.
 
Geheimdienste sind Fremdkörper einer Demokratie, zudem unkontrollierbar und mithin nicht reformierbar.
 
Deshalb fordert DIE LINKE, den Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen, in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz.
 
Denn das Grundgesetz schreibt zwar eine Behörde zum Schutz der Verfassung vor, aber mitnichten Geheimdienste. Das muss man wissen.
 
Deshalb schlagen wir alternativ eine „Koordinierungsstelle des Bundes zur Dokumentation neonazistischer, rassistischer und antisemitischer Einstellungen und Bestrebungen sowie sonstiger Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor.
 
Korrespondierend mit ihr soll eine „Bundesstiftung zur Beobachtung, Erforschung und Aufklärung der Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ eingerichtet werden.
 
Beide kompetent und transparent, ohne geheimdienstliche Befugnisse. Damit würden zugleich Grundrechte, wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Post- und Briefgeheimnis sowie die Meinungsfreiheit verfassungsgemäß gestärkt.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video]

 

 

3.7.2015
www.petra-pau.de

 

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