Aktuelle Notiz: Grass hat gedichtet

von Petra Pau
Berlin, 6. April 2012

Er rief die Geister, alle

Günter Grass hat getextet. Ob das Geschriebene ein Gedicht ist, mögen andere beurteilen. Für ihn spricht die Meinungsfreiheit. Und sein Gespür. Er kokketiert und provoziert und prompt entlädt sich das von ihm bestellte Gewitter. Blitzlicht für den Mahner, der das Verdikt des Antisemitismus nicht länger fürchtet, sein Schweigen bricht, mit letzter Tinte.

Das ist mein Hauptvorwurf. Wer Israel kritisiert, sei Antisemit. Das ist eine gern verbreitete These, als Behauptung, als Versteck, als feiger Schutzwall. Ich behaupte nicht, Grass sei Antisemit. Andere tun es. Aus allen Richtungen wird gedonnert. Ich sage allerdings: Wer diese Stereotype für sich beansprucht, heiligt sie für andere, auch für Antisemiten.

Über den Rest Grass'scher Lyrik sollte man streiten. Unbedingt! Es droht Krieg, mahnt Grass, in einer „vom Wahn okkupierten Region“. Ein dritter Welt-Krieg, das Ende? Nicht auszuschließen. Doch wer ist der Wahn-Sinnige? Israel, der Iran oder beide? Atomwaffen und ein drohender Erstschlag, lässt Grass in sein Epos einfließen. Richtig!

Aber da fallen mir noch andere ein. Wollte Präsident Obama nicht die Welt atomwaffenfrei abrüsten? Und lagern nicht auch in Deutschland noch immer Nuklearbomben? Grass fordert internationale „Anti-Atom“-Kontrolleure für Israel und den Iran. Und was ist mit den USA, mit Russland, mit Frankreich usw.? Sind sie Friedens-Engel, dank Atom-Waffen?

Die Nato-Strategie wurde ausgeweitet, von vermeintlich Verteidigung auf verlässlich Angriff. Mit deutschem Segen! Grass moniert zu Recht deutsche Rüstungsexporte nach Israel. Noch vor kurzem galt: Keine deutschen Waffen in Krisenregionen. Auf dem Papier und in Reden. Die Praxis sah stets anders aus, profitabel für viele Konzerne.

Mag sein, Günter Grass hat lange nachgedacht. Mag sein, er wollte genau diese und mehr Fragen aufwühlen. Mag sein, deshalb hat er sich der antisemitischen Provokation bedient. Ich glaub es nur nicht. Feuer werden entfacht, aber nie durch Benzin gelöscht. So, wie mit wilden Gegen-Statements kein Konflikt erhellt, geschweige denn gelöst wird.

Grass wird die Geister nicht mehr los werden, die er nun rief. Sie werden sich alle auf und gegen ihn berufen: Einseiter, Alleswisser, auch Antisemiten. Er hat sie beschenkt, mit einem Gedicht, seinem Vermächtnis. Ich, der Nobelpreisträger, kritisiere Israel! Das ist die eitle Botschaft. Ich hätte mir und vor allem von ihm Klügeres gewünscht.
 

 

 

6.4.2012
www.petra-pau.de

 

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