Gründungstreffen des Netzwerkes Reformlinke in und bei der PDS

Berlin, 16. Februar 2003
Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP

Die Gründung unseres Netzwerkes Reformlinke, liebe Genossinnen und Genossen, ist überfällig. Warum? Vor allem, weil der Parteitag in Gera ein Schritt „vorwärts“ in die Vergangenheit war.

Damit meine ich nicht, dass es nicht notwendig und richtig wäre, auf die Ursachen der schweren Wahlniederlage zu schauen, sie selbstverständlich selbstkritisch zu analysieren. Das, liebe Genossinnen und Genossen, ist absolut unstrittig. Unstrittig ist m. E. auch, dass unser Einstieg in den Berliner Senat nicht wirklich die „hohe Schule der Politikѻ war, uns diese Regierungsbeteiligung angesichts der Haushaltslage harte Belastungsproben auferlegt und auch Fehler gemacht wurden.

Mein Problem ist ein anderes: nämlich, dass in Gera eine falsche politische Weichenstellung für die Zukunft der Bundespartei vorgenommen wurde - die meines Erachtens geradewegs in die politische Bedeutungslosigkeit führt.

Damit will ich mich nicht abfinden! Ich habe nicht als Sprecherin der Initiativgruppe PDS in der Wendezeit und all die Jahre danach in Verantwortung gemeinsam mit anderen mein Kreuz für die Entwicklung einer modernen sozialistischen Partei hingehalten, um jetzt einer schleichenden Beerdigung meiner Partei beizuwohnen.

Ich will, dass in Deutschland eine kämpferische sozialistische Partei gebraucht wird, und zwar eine politische Partei - und keine Bewegung - die die Menschen in Ost wie West in ihrem Lebensalltag anspricht.

Was, Genossinnen und Genossen, ist in Gera falsch gelaufen und muss umgehend, und zwar ohne Wenn und Aber, korrigiert werden?

Aus meiner Sicht ist es vor allem die auf dem Parteitag und danach vorgenommene Konfliktbeschreibung in der PDS selbst. Sie entspricht einfach nicht der Realität und musste deshalb in die Irre führen.

In der Partei gab und gibt es keinen Konflikt darüber, ob die PDS eine bundesweite sozialistische Partei oder eine „sozialdemokratische Ostpartei“ sein soll, wie im Referat der Vorsitzenden behauptet wurde. Und es gab und gibt auch keinen ernstzunehmenden Konflikt darüber, ob die PDS parlamentarisch oder außerparlamentarisch agieren soll, wie der Bundesgeschäftsführer kürzlich in einem Interview dezidiert behauptete.

Diese eklatanten Fehleinschätzungen sind es, durch die die Partei darauf orientiert wurde, das Feuer auf Rot-Grün zu konzentrieren und zugleich vermeintliche „Sozialdemokraten“ in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Genau das also, was KPF und Geraer Dialog unter „Ruck nach Links“, „Stärkung des sozialistischen Charakters“ oder „Weg von Gera“ bezeichnen.

Die eigentliche Herausforderung aber, der Kampf gegen den um sich greifenden Neoliberalismus mit all seinen schlimmen Folgen für immer mehr Menschen in diesem Land, trat dabei in den Hintergrund. So wurde und wird vor allem zu CDU/CSU, an denen erst recht nach den Wahlen in Niedersachsen und Hessen kein Weg mehr vorbei geht, und die für mich noch immer der politische Hauptgegner sind, so gut wie nichts gesagt.

Liebe Genossinnen und Genossen,

die eigentliche Streitfrage, um die es in der PDS geht, ist doch die: Wie sollen politisches Profil und Programmatik aussehen, damit Menschen in diesem Land davon überzeugt sind, dass eine sozialistische Partei in Deutschland gebraucht wird. Es geht darum, ob wir als eigenständige politische Kraft programmatisch und von den Inhalten her erkennbar sind und darum, ob uns Bürgerinnen und Bürger auch die Kompetenz für die Lösung ihrer Probleme zutrauen.

Programmatik, inhaltliches Profil, Lösungskompetenz für gesellschaftliche Probleme - das sind die drei Schlüsselbegriffe, wo die PDS immensen Nachholbedarf hat, worüber sie in der Tat debattieren und streiten muss.

Dabei wird uns nicht helfen, wenn wir unsere Befindlichkeiten pflegen und Losungen hochhalten, die so „richtig links“ klingen, die aber in der Gesellschaft am Leben vorbei gehen. Für uns kann doch nur Maßstab sein, was Menschen außerhalb der Partei bewegt und überzeugt! Darum geht es.

Von daher kann es doch einfach nicht wahr sein, wenn sich - wo es angesichts der Kriegspolitik des US-Präsidenten heute darum geht, ob eine multipolare Welt eine Chance hat oder künftig nur noch eine Macht, sprich die imperiale Hypermacht USA, die internationale Politik bestimmt - Winfried Wolf und sein Geraer Dialog damit beschäftigen, uns die „Zerstörung des sozialistischen Charakters der PDS“ vorzuwerfen. Deutlicher kann Politikunfähigkeit doch nicht zur Schau gestellt werden!

Wir erleben eine Zeit, wo es brandaktuell um Krieg oder Frieden geht, aber auch darum, ob Europa, die Europäische Union zu einer Kraft wird, die sich der angemaßten Allmacht und Kriegspolitik der Bush-Administration selbstbewusst in den Weg stellt. Der morgige Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel wird zeigen, ob Europa in der Lage sein wird, tatsächlich eine eigenständige Position zu formulieren.

Aufgrund der Fehlorientierung des Parteitages war es eben auch kein Wunder, dass unter völliger Verkennung der politischen Dimension und Langzeitwirkung der existentiellen Frage Krieg/Frieden mit Blick auf den Irak aus der PDS heraus ultimativ die Koalitionsfrage in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gestellt wurde. Und ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass sich auch Vorstandsmitglieder auf diesen politischen Unsinn einlassen konnten, um dann, wie nicht anders zu erwarten, wieder rasch zurück zu rudern. Ich finde es bestürzend, dass von Verantwortlichen der PDS eben lange Zeit nicht erkannt wurde, was es bedeutet, dass erstmals in der bundesdeutschen Geschichte ein Kanzler den Mut aufbringt, mit der traditionellen Vasallentreue gegenüber US-amerikanischer Hegemonialpolitik zu brechen. Wer das gegenwärtige Handeln der Bundesregierung auf bloße Taktik einer Wahlarithmetik reduziert, der hat von Politik einfach keine Ahnung, erst recht nicht von internationaler Politik.

Die Ablehnung eines Krieges gegen den Irak - „ob mit oder ohne UN-Mandat“ - durch die Bundesregierung zeigt uns doch, dass es sich für linke Reformpositionen in dieser Gesellschaft durchaus erfolgreich streiten lässt. Die PDS hat einer Politik eine klare Absage erteilt, die auf die schleichende Zerstörung des Völkerrechts und auf UN-legitimierte Angriffskriege hinzielt. Damals in der PDS hart umstritten, erweist sich diese Position heute auf der Höhe der Zeit und hat breite gesellschaftliche Unterstützung. In diesem Sinne sollten wir uns weiter in die Friedensbewegung einbringen. Wichtig ist mir, dass dabei niemals auch nur der Anschein entstehen darf, die PDS verfolge in der Frage Krieg/Frieden einen Alleinvertretungs- oder Hegemonieanspruch.

Abschließend: Wie ihr wisst, vertrete ich unsere Fraktion im Europaparlament im Europäischen Verfassungskonvent. Ich bin damit die einzige Vertreterin einer linkssozialistischen Partei eines EU-Mitgliedstaates. Das ist eine höchst spannende Aufgabe, denn hier geht es um konkrete Zukunftsgestaltung.

Ich bin davon überzeugt, dass es gemeinsam mit sozialdemokratischen und grünen Kolleginnen und Kollegen im Konvent sowie mit Unterstützung von Gewerkschaften und NGO gelingen kann, fortschrittliche Positionen in der europäischen Verfassung zu verankern, und dass es Chancen gibt, Europa sozialer zu gestalten. Die erste Hürde haben wir genommen, indem wir im Konvent die Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Soziales“ erstritten. Die zweite Hürde wurde genommen mit dem Schlussbericht dieser Arbeitsgruppe. Und: nach Vorlage der Entwürfe der ersten Verfassungsartikel scheint jetzt durchsetzbar, dass zum Beispiel als Ziel gemeinsamer europäischer Politik Vollbeschäftigung in die Verfassung aufgenommen wird. Politisches Engagement zur Veränderung Europas ist also nicht chancenlos!

Über das erweiterte Europa von morgen wird jetzt entschieden! Die PDS, wir als Reformlinke, müssen uns dazu programmatisch klar positionieren. Sicher, die EU ist in erster Linie ein Wirtschaftsprojekt, in dem Binnenmarkt und Wettbewerb dominieren. Aber jetzt geht es um die Schaffung der von uns seit langem eingeforderten Politischen Union Europas, um die Zukunft eines geeinten Europas, das friedensfähig, demokratisch und sozial ist. Ich denke, die PDS ist gut beraten, wenn sie sich mit dieser Zielstellung kritisch und konstruktiv zugleich in die Europapolitik einbringt, und sich unter Beachtung der spezifischen deutschen Geschichte auch weiterhin für eine Vertiefung der Integration und gegen Renationalisierungstendenzen ausspricht. Klar sollte allerdings auch gesagt werden, dass wir eine Entwicklung der EU zu einer weltweit interventionsfähigen Militärmacht nicht mittragen. Ich habe in daher im Konvent auch beantragt, in der Verfassung eine Friedensverpflichtung der EU zu verankern.

Liebe Genossinnen und Genossen,

lasst uns mit Blick auf den Juni 2004 als Netzwerk Reformlinke alles dafür tun, dass die PDS bei den Europawahlen die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten kann, wieder ins Europaparlament einzieht. Wir können dort - das zeigt unsere Erfahrung im EP - durchaus etwas bewegen.
 

Information über das Gründungstreffen des „Netzwerkes Reformlinke“

 

 

16.2.2003
www.petra-pau.de

 

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